Auf Abenteuerreise mit Familie und Freunden: Miitopia bietet Kindern einen idealen Einstieg in Rollenspiele. Trotz einer altersgerechten Aufmachung und vieler liebevoller Details finden wir in unserem Test auch einiges zu bemäkeln.

Die Dorfbewohner sind in heller Aufregung: der dunkle Fürst hat ihre Gesichter gestohlen. Glücklicherweise sind die Helden und NPCs in Miitopia keine realistischen Menschenfiguren sondern die Nintendo-Avatare Mii – Szenen wie in Face/Off oder Das Schweigen der Lämmer bleiben uns also erspart. Die Augen, Nasen und Münder sind von den Gesichtern der knuffigen Figuren geflogen und haben leere Hautflächen zurückgelassen. Wir gestalten nun selbst einen Mii als Helden oder wählen eine bestehende Figur aus unserem Nintendo-Account aus und kommen den Dorfbewohnern zu Hilfe.

Falls es bis hierhin noch nicht klar geworden ist: Miitopia ist ein Spiel von Nintendo, entwickelt vom hauseigenen Studio Nintendo EPD. Im Jahr 2017 ist die ursprüngliche Fassung erschienen, 2021 folgte dann eine überholte Version für die Switch.

Ein waschechtes Rollenspiel für Kinder

In den ersten Stunden des Spiels schließen sich unserem Helden weitere Gefährten an, die wir jeweils auch gestalten und benennen können. Im Anschluss wählen wir einen von fünf Berufen für unsere Avatare aus, die den Klassen in anderen Rollenspielen entsprechen. Zur Wahl stehen die Berufe Krieger, Magier, Priester, Dieb, Popstar und Koch. Außerdem dürfen wir die Persönlichkeit unserer Avatare bestimmen. Diese beeinflussen vor allem automatische Aktionen unserer Gruppenmitglieder während der Kämpfe. Es gibt sieben Charaktertypen, von nett über verträumt bis vorsichtig. Im Spiel mit Kindern ist die individuelle Gestaltung der Figuren wahrscheinlich eines der wichtigsten Features von Miitopia. Es erleichtert jungen Spielern den Einstieg in die Rollenspielwelt und die Identifizierung mit ihren Charakteren. Außerdem kommt es immer wieder zu netten Interaktionen zwischen den Figuren, aber dazu später mehr.

Doch nun zum Spielablauf: Unser Held zieht über die Landkarte, bestreitet Kämpfe und findet Loot in Form von Gegenständen, Essen und Geld. Am Ende jedes Beutezugs kehren wir in ein Gasthaus ein. Auch dazu gleich mehr. Die Kämpfe gegen angetroffene Monster wie Kobolde, Pilze und Kumuluswolken laufen rundenweise ab: Im Stile japanischer Rollenspiele führen unsere Figuren nacheinander Angriffe, Zauber und Aktionen aus, dann sind die Gegner dran. Wer zuletzt noch steht, gewinnt den Kampf. Die eigenen Kämpfer interagieren außerdem je nach gewähltem Charakter und dem Verhältnis der Figuren untereinander. So wirft sich ein netter Charakter beispielsweise von Zeit zu Zeit zwischen einen Angreifer und den eigenen Kameraden und nimmt den Schaden auf sich oder warnt einen Freund vor einem bevorstehenden Angriff. Auch das Verhältnis zwischen den Charakteren spielt hier eine Rolle: Je vertrauter zwei Charaktere sind, desto häufiger und effektiver unterstützen sie sich.

Obwohl gegenüber erwachsenen Vertretern des Genres alles stark vereinfacht wurde, handelt es sich bei Miitopia um ein waschechtes Rollenspiel, das eben auf die Bedürfnisse von Kindern angepasst wurde. Einer der Aspekte des Spiels, die sich sehr deutlich an Kinder richten, ist das Gasthaus.

Rollenspiel im Puppenhaus

Am Ende jedes Raubzugs kehrt die Party in ein Gasthaus ein. Dort erholen sich die Mitstreiter und verspeisen erbeutete Mahlzeiten. In Puppenhausoptik wählen wir aus, wer in welchem Zimmer schläft. Wenn zwei Figuren ein Zimmer teilen steigert dies deren Vertrautheit. Sobald sich uns ein Pferd angeschlossen hat, kann einer unserer Charaktere die Nacht auch im Stall verbringen, um mit dem Reittier zu bonden. Im Tausch gegen Gutscheine, die wir in Kämpfen finden, können wir die Zimmergenossen außerdem auf Freizeitaktivitäten schicken: ins Café, an den Strand oder ins Kino. Auch so wächst die Nähe der Figuren zueinander und sie gewinnen neue gemeinsame Fähigkeiten. Außerdem bietet das Gasthaus in der Spielhalle eine Reihe von Mini-Spielen, mit denen der Spieler sein Geld vermehren kann.

Im Spiel mit Kindern entsteht im Gasthaus eine Art Meta-Spiel: Mein Sohn ist natürlich unser Held, seine Familie und Freunde die Gefährten. Im Gasthaus stehen wir also jedes Mal vor der Frage, wer heute in welchem Zimmer schlafen darf: Schläft Jakob heute in einem Zimmer mit seinem Cousin oder mit Mama? Muss Papa wieder im Stall beim Pferd nächtigen? Am nächsten Morgen geht Jakob mit seinem Kindergartenfreund zum Angeln und schickt seine Eltern ins Kino. Damit spielen wir auf einer weiteren Ebene ein Rollenspiel im virtuellen Puppenhaus.

Ein weiteres nettes Feature im Spiel mit Kindern: Nach einer angemessenen Zeit (vielleicht 20-30 Minuten) fragt das Spiel, ob man nicht schon lange genug gespielt hat. Eine gute Gelegenheit, eine Pause einzulegen.

„Miitopia setzt aufs Pixar-Prinzip – und scheitert krachend“

Der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe ist für das Spielen mit Kindern sehr angenehm: Es kommt Spannung auf, man verliert aber nur selten. Gemeinheiten wir Permadeath oder verlorene Gegenstände nach dem Tod eines Helden bleiben dem Spieler erspart. Nach einem gewonnenen Kampf ist die Party wieder komplett. Verliert man einen Kampf, wird man auf die Karte zurückgesetzt.

Läuft ein Gefecht einmal schlecht, kommt einem außerdem eine göttliche Macht zu Hilfe: Horst. Ja, richtig gehört: Horst. In der englischen Fassung heißt der himmlische Helfer schnöde Guardian Spirit, in der EU-Version eilt uns God zu Hilfe und in der deutschen Fassung eben Horst. Sobald die Lebens- oder Zauberenergie zur Neige geht, erscheint Horst und spendiert uns frische Energie. Stirbt das erste Mal ein Mitstreiter, belebt Horst ihn wieder.

Horst ist nur ein Beispiel für das gern zitierte Pixar-Prinzip, das Miitopia anpeilt: Das Spiel wurde eindeutig für Kinder entworfen, es finden sich aber immer wieder Skurrilitäten und witzige Details, die sich eher Erwachsenen erschließen. Doch das gelingt längst nicht so gut wie den Animationsfilmen. Oder anders gesagt: Miitopia setzt aufs Pixar-Prinzip – und scheitert krachend.

So zum Beispiel die Kämpfe: Zwar sind diese wie beschrieben meist gut ausbalanciert und wir fühlen uns gefordert. Der Ablauf selbst ist allerdings so repetitiv, dass mein Sohn sich schnell zu langweilen beginnt. Das Puppenhaus-Spiel bietet dagegen so wenige interessante Entscheidungen, dass Erwachsene kaum interessante Aspekte finden werden. Die Story ist nett gemacht, fesselt uns aber auch nicht wirklich lange. Nach wenigen Stunden Spielzeit über zwei bis drei Wochen verteilt fragt Jakob mich dann, ob wir nicht lieber mal wieder Mario Odyssey spielen – obwohl es für uns dort wirklich nichts Neues mehr zu entdecken gibt. Danach will er Miitopia dann auch nie wieder spielen und ich bin nicht beleidigt, als wir es der Bücherei zurückgeben müssen.

Miitopia

Plattformen: Nintendo 3DS, Nintendo Switch
USK: ab 0 Jahren
G&K*: ab 2 Jahren
Unser Testkind: Jakob, 4 Jahre
Für Kinder, die auch mögen: Puppenhäuser, Rollenspiele mit Kuscheltieren, Märchen
*unsere absolut subjektive Altersempfehlung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert