Alterskennzeichen sollen Eltern eine schnelle Einschätzung ermöglichen, welche Videospiele, Filme und Serien ihr Kind gefahrlos verkraftet: ab 0, ab 6, ab 12, ab 16 oder ab 18 Jahren. Doch jedes Kind ist anders. Was dem einen schlaflose Nächte bereitet, verschafft dem anderen ungetrübten Spaß. Hier kommt der ultimative Guide, wie man die USK-Alterskennzeichen auf das eigene Kind anwendet.

Seit 1994 prüft die „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“, kurz USK, Videospiele auf ihre Eignung für Kinder und Jugendliche. Den größten Teil meiner Grundschulzeit existierten deshalb noch keine Alterskennzeichen. Was es jedoch bereits gab, war der Index, stets intoniert mit einer gewissen Ehrfurcht. Spiele, die auf dem Index der BPjS, später BPjM, heute BzKJ standen, umwehte die Aura des Gefährlichen.

Meine älteren Brüder und die Brüder meiner Freunde brachten aus der Schule ständig neue Spiele nach Hause. Besonders interessant waren indizierte Spiele, nur überboten von verbotenen Spielen, also jenen Games, die zusätzlich zur Indizierung auch noch beschlagnahmt wurden. Wer Minderjährigen solche Spiele „anbietet, überlässt oder zugänglich macht“ wird noch heute mit bis zu einem Jahr Haft bestraft. Alleine bis zum Ende der Grundschule wurden mir Barbarian (indiziert), Doom 1 + 2 (indiziert), Mortal Kombat, (beschlagnahmt) und Wolfenstein 3D (beschlagnahmt) angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht. Danach noch unzählige mehr.

Tatsächlich kann ich mich nicht daran erinnern, dass eines der genannten Spiele mich verstört hätte. Das erste Spiel, mit dem ich nicht klargekommen bin, war Resident Evil im Alter von 11 oder 12 Jahren. Fairerweise muss ich aber dazusagen, dass ich auch Resident Evil 7 vor ein paar Jahren nach ein paar Stunden weggelegt und nie weitergespielt hab. Man könnte jetzt den Schluss ziehen: Aus mir ist was geworden, warum also nicht einfach alle Spiele für alle freigeben?

Drei Faktoren sind entscheidend

Aus mehreren Gründen scheint mir meine eigene Erfahrung nicht verallgemeinerbar. Zum einen war natürlich die Technik der frühen 90er Jahre eine andere als heute: Doom Eternal ist unendlich immersiver als es das erste Doom damals war. Außerdem war ich beim Spielen im jüngeren Alter selten alleine, insbesondere die anstößigen Games hat man gemeinsam mit Freunden oder Brüdern gezockt. Auch eine Form des „sozialen Kapitals“ scheint mir hier relevant: Als behütetem Bürgerkind fiel mir die Verarbeitung virtueller Gewalt womöglich leichter als beispielsweise einem Kind, das tatsächliche Gewalterfahrungen machen musste. In meiner individuellen Disposition liegt es wahrscheinlich begründet, dass Games mich nicht sehr leicht irritieren – eben mit Ausnahme von Survival-Horror-Spielen.

Die Erfahrung, dass mir als Kind brutale Spiele nichts ausgemacht haben, ist deshalb kein Argument gegen Jugendschutz. Relevant sind mindestens die drei genannten Faktoren: Das Spiel selbst, das soziale Umfeld, dem das Kind entstammt und in dem gespielt wird, und natürlich die individuelle Disposition des spielenden (oder zuschauenden) Kinds.

Wer ist das durchschnittliche Kind?

Bei zwei dieser drei Ebenen muss die USK beim Erstellen ihrer Alterskennzeichnungen notwendigerweise im Dunkeln tappen. Die Gutachter kennen weder jedes einzelne Kind noch deren soziale Umgebungen. Nur das Spiel an sich und sein Realitätseindruck können scheinbar objektiv und unabhängig vom einzelnen Kind und seiner sozialen Einbettung bewertet werden. Wie unsicher eine Bewertung dieser Dimension alleine ist, zeigt sich an meinen Anekdoten: Wenn ein Grundschüler mit einem beschlagnahmten Spiel problemlos klarkommt, ist es vielleicht überzogen, jemanden fürs Zugänglichmachen dieses Spiels mit Gefängnis zu bedrohen.

Wäre ich Prüfer der USK, würde ich bei der Alterseinstufung die beiden Dimensionen, die ich nicht einschätzen kann, versuchen auszublenden und ein durchschnittliches Kind mit durchschnittlichem Umfeld annehmen – was auch immer das sein mag.

Die Game & Kind Vier-Felder-Matrix

Falls ich die offizielle Alterskennzeichnung eines Spiels an sich für valide halte, muss ich demnach nur noch den Abstand zwischen meinem Kind und einem angenommenen Durchschnittskind bestimmen, um die USK-Einschätzung auf mein eigenes Kind maßzuschneidern. Dazu stelle ich mir drei Fragen: Wie sensibel reagiert mein Kind auf fiktive Inhalte? Wie sieht die Spielsituation meines Kinds aus? Und: Welche sozialen Voraussetzungen bringt mein Kind mit? Die Antwort auf die erste Frage gibt den Wert für die individuelle Disposition, die anderen beiden Antworten für die soziale Komponente. Hält man sein Kind in beiden Dimensionen für überdurchschnittlich aufgestellt, rundet man zum nächsten Alterskennzeichen auf. Schätzt man sein Kind in einer der beiden Dimensionen als überdurchschnittlich und in der anderen als unterdurchschnittlich ein – oder in beiden als durchschnittlich – gilt der USK-Vorschlag. Sind sowohl die sozialen Faktoren als auch die individuelle Disposition unterdurchschnittlich entwickelt, sollte man sich ausgehend von der USK-Empfehlung lieber nach unten orientieren.

Der ultimative Guide zur USK-Kennzeichnung: Die Game & Kind Vier-Felder-Matrix

Zugegeben: Das ist alles furchtbar schematisch gedacht. Was ist schon ein Durchschnittskind? Das Modell kann jedoch dabei helfen, das eigene Kind in Relation zur verallgemeinernden USK-Kennzeichen zu setzen.

Der stärkste Hebel, der Eltern zur Verfügung steht, ist wahrscheinlich die Spielsituation. Alleine, indem wir gemeinsam spielen, das Geschehen in Echtzeit besprechen und ich jederzeit auf aufkommende Irritationen meines Sohns reagieren kann, können wir problemlos manche Spiele spielen, die erst für etwas ältere Kinder freigegeben sind.

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